Bolivien


Bis Cochabamba (8.4. - 17.4.2012, 465km)

Der bolivianische Grenzbeamte gibt mir trotz ausdrücklicher Bitte nur ein Visum für 60 Tage. Warum weiss ich nicht. 90 Tage, so meinte ich, dürfe man als Tourist pro Jahr in Bolivien weilen.

Gleich wenige Kilometer weiter ist das ehemalige Bauern- und Fischerdorf Copacabana. Heute lebt der Ort, dank seiner herrlichen Lage zwischen Hügeln am Ufer des Lago Titicaca, mehrheitlich vom Tourismus und ein paar schreckliche hochgezogene Hotels verschandeln das Dorfbild. Am Ufer werden Paddelboote vermietet und die Restaurants und Diskotheken reihen sich aneinander. Die Kundschaft ist eher jünger und lässt es in der Hauptferienzeit zünftig krachen.  Ich kann froh sein, dass das Osterwochenende just vorbei ist.  In den Strassen habe man sich kaum fortbewegen können, so bevölkert sei es gewesen, die Hotels wären mehr als ausgebucht  und mein Zimmer drei Mal so teuer gewesen wie er es mir jetzt anbiete, erzählt mir der Hotelier mit breitem Lachen. „ Nochmals Schwein gehabt“, denk ich mir.

Auf dem  „Dorfhügel“  am nächsten Tag, ist die Aussicht echt sehenswert. Zusammen mit 3 Bolivianern aus dem tropischen Santa Cruz hocken wir da oben,  geniessen und plaudern.

Auf dem bolivianischen Altiplano kann man wieder zelten, wenn auch Campesinos auf dem Heimweg von der Feldarbeit mich beim kochen entdecken. Die Leute sind freundlich und neugierig. Mit der Verständigung klappt es nicht immer, da hier in der Region um La Paz auf dem Lande oft nur das indigene  Aymara gesprochen wird.

Von El Alto, wie der Stadteil oberhalb von La Paz auf dem Altiplano heisst, hat man eine gute Aus- und Übersicht auf die Hochhäuser unten im Zentrum  und  die Bezirke, die sich bis hoch hinauf ziehen.  Ein Mann empfiehlt mir, die „Autobahn“ zu nehmen welche in die Innenstadt führt.  Autobahn ist wirklich zuviel gesagt. Die Strasse führt sehr kurvige 10 Kilometer hinunter und auf dem unebenen und mit Schlaglöchern versetzten Pannenstreifen versperren mir Busse, Taxis und Lastwagen laufend den Weg.  Mit Krampf in den Fingern vom bremsen, erreiche  ich die Plaza San Francisco, mache ein Erinnerungsfoto und frage nach einem Hotel. Man lotst mich eine enorm steile Strasse hoch und ich finde Quartier in einem kleineren Hotel der historischen Altstadt.  Hier findet man Souveniers, Restaurants und allerlei Läden in denen Campesinos typische Produkte verkaufen. Cocablätter, Gemüse  und andere Lebensmittel sowie natürlich auch Kleider,  Pullover und Ponchos. Man kann diese jetzt gut gebrauchen, denn es ist kalt und regnerisch.

Nach ein paar Tagen in der Grosstadt zieht es mich wieder auf’s Velo. Ich kämpfe mich auf extrem steilen Nebenstrassen wieder hoch nach El Alto und dort durch den chaotischen Morgenverkehr auf die Hauptstrasse nach Süden Richtung Oruro.  Nach etwa 70 Kilometern, in Tolar, sehe ich ein passables Hotel und nehme mir dort ein Zimmer. Die Campesinos in den Dörfern des bolivianischen Hochlands bieten nur selten, wie soll ich sagen, „gringotaugliche“ Hotels an. Meist sind es nur kahle, unsauberer Räume mit einer Pritsche und mit allerlei Ungeziefer versehen. Das Hotel in Tolar ist da eine angenhme Ausnahme und so ich nehme die Gelegenheit wahr, in einem warmen Bett zu übernachten.

In Caracollo, bei der Abzweigung Richtung Osten nach Cochabamba, treffe ich auf Rolando aus Argentinien. Der junge Mann, der sich auf seiner ersten Radreise befindet und erst seit kurzer Zeit in Bolivien unterwegs ist, beklagt sich über die katastrophale Infrastruktur in den Dörfern des Landes, vor allem eben diese lausigen Hotels. Er schleppt seit längerem eine Erkältung mit sich, wohl von den kalten Nächten im Zelt. Seine Ausrüstung ist nicht ganz passend für das kalte Klima hier oben und er bestaunt meine Velotaschen. Leider könne man diese und andere Qualitätsausrüstung in Buenos Aires nicht kaufen wegen idiotischer Einfuhrbestimmungen. Wir reden noch eine Weile „Velofahrerlatein“ wünschen einander Alles Gute und verabschieden uns. Im Dorf kaufe ich mir ein paar Liter Wasser,  fahre noch etwas weiter Richtung Cochabamba und stelle mein Zelt, etwa 500 Meter abseits der Strasse, in der Pampa auf.

Es wird nun zunehmend gebirgiger und die Strasse führt über hohe Pässe bevor es spektakulär hinunter geht nach Parotani. Dort kann ich dann endgültig die warmen Kleider in die Taschen stopfen denn ich bin hier vielleicht nur noch 2500 M.ü.M und es ist angenehm warm. Die flachen 40km nach Cochabamba sind dann nur noch ein Klacks.

Cochabamba ist, wenn man sich das Zentrum anschaut, eine der modernsten Städte Boliviens. Alte, koloniale Gebäude sieht man nur wenige.  In den Aussenbezirken freilich geht es  nicht mehr so modern zu und her. Die Stadt liegt in einem weiten fruchtbaren Tal  und, zusammen mit dem ganzjährigen, sehr angenehmen Klima, sind dies bestimmt  die Hauptgründe dafür, dass die Stadt boomt. Touristisch läuft vielleicht nicht ganz so viel wie in La Paz oder Sucre, vielleicht eben gerade weil es kein eigentliches koloniales oder historisches Zentrum gibt. Für bolivianische Verhältnisse ist es recht teuer hier.  Das Wahrzeichen ist die riesige Christusfigur, die  mit ausgebreiteten Armen auf einem konischen Hügel, über die Stadt wacht.

In den Konditoreien im Zentrum wird feinstes Süssgebäck, ja sogar Cremeschnitten fast so lecker  wie in der Schweiz,  angeboten. Für mich immer ein Highlight, so verrückt es auch klingen mag. Da es hier spriesst und gedeiht in der Umgebung, isst man sehr vielfältig und  immer mit frischen Zutaten.


Weiter bis Sucre (22.4. - 27.4.2012, 375km)

Was jetzt noch vor mir steht sind die letzten knapp 400 Kilometer nach Sucre. Da man mich schon so oft falsch informiert hat, schenke ich dem jungen Mann  in der Touristeninformation keinen Glauben,  als er mich auf die etwas längere Strecke aus der Stadt hinaus verweist.  Es sei bedeutend flacher, meint er.  "Papperlapapp!  Ich nehme den direkteren Weg,“ so meine Überzeugung.  So nach ca. 20 Kilometern werde ich hart bestraft für meine Besserwisserei. Die Strasse führt über einen veritablen 4000-er Pass hinauf in die Kälte und dann steil hinunter wieder in die wärmere Zone. Ein  unnötiger Kraftaufwand, mal abgesehen von den landschaftlichen Reizen.

 Am Abend, in der Nähe des kleinen Bauerndorfes Tiraque, sehe ich 2-3 Campesinos,  die vom sonntäglichen Umtrunk im Dorf auf dem Heimweg sind  und dabei die halbe Strassenbreite benutzen. Bei der Brücke über den Fluss, ich möchte dort mein Zelt aufschlagen, begegne ich einem von ihnen. Es ist Juan auf dem Weg zu seinem Hof. Wir kommen ins Gespräch und er besteht darauf, dass ich bei ihm auf seinem Grund campe. Ich traue ihm, denn er scheint nur etwas angeheitert und ein netter Kerl zu sein. Ich könne im leerstehenden Nebengebäude übernachten, meint er. Ich stelle das Zelt daneben auf, denn es ist mir wohler darin zu schlafen als in dem Raum mit dem betonierten Boden. Sofort schickt er eines seiner 7 (!) Kinder um Wasser zu bringen. Er ist ständig am reden und preist dabei seine Gastfreundlichkeit an und wie toll es doch sei, dass wir uns getroffen hätten. Ich mache ein paar faule Sprüche über seinen etwas alkholisierten Zustand worauf er etwas beleidigt ist. Das heute sei eine Ausnahme seit langem gewesen, ist seine Antwort.  Später koche ich uns einen Kaffee und nach und nach gesellt sich die Kinderschar und seine Frau für eine Weile zu uns. Ich koche Spaghetti mit Thunfisch und zwei kleine Knirpse haben grossen Appetit darauf.  Ich muss zusehen, dass ich genügend für mich abzwacken kann nach diesem harten Tag.  Später beim Cocatee macht der Nachbar noch seine Aufwartung, denn er hat das Licht im Haus und das Zelt davor gesehen. Wann hat man hier in Tiraque schon einen Gringo zu Gast.  Am Morgen beim packen schaut Juan nochmals vorbei . Ich bedanke mich herzlich für seine Gastfreundschaft und wir verabschieden uns bevor ich den weiteren Weg unter die Räder nehme.

Im staubigen und verlassen wirkenden Ort Epinaza ist der Abzweiger Richtung Süden, hinein in die trockenen Berge. Reisende nach Santa Cruz de la Sierra, im Tiefland, fahren geradeaus weiter. Das tun die Meisten, denn der Grossteil der weiteren Strecke nach Sucre ist aus Pflasterstein und Schotter und wird nur vom lokalen Verkehr benutzt.  15 Kilometer, bis zum wunderschön erhaltenen Dorf Totora,  ist es noch geteert. Es hat eine Luxusherberge hier aber ich nehme das etwas bescheidenere Hotel mit einem grossen Innenhof,  in dem Campesinofrauen, auf dem Boden sitzend, Handarbeiten ausführen und  in Quechua über den Gringo mit dem Fahrrad kichern. Quechua ist die ürsprüngliche Inkasprache und wird hier sogar wieder  in den Schulen gelehrt.

Wie erwähnt kommt nun der gebirgige Abschnitt mit der Strasse aus Natursteinpflaster von etwa 90 Kilometern bis Aiquile. Eine höchst unangenehme Unterlage. Vor allem mit dem Velo. Es ist unglaublich holprig aber dafür hat es nur wenig Verkehr in der herrlichen Landschaft. In den Weilern auf dem Weg treffe ich keine Leute, die ich um Wasser bitten kann. Erst bei einem Fluss, nach einer steilen Abfahrt auf der Rüttelpiste,  kann ich die Flaschen füllen. Beim Aufstieg sehe ich eine Frau bei einem Haus und ich frage sie, ob das Wasser ok sei.  Es sei sehr gut und sauber und sie habe sogar einen kleinen Laden. Sie würde wohl etwas mehr verkaufen wenn sie ein Schild anbringen würde aber daran scheint die gute Frau keinen Gedanken zu verlieren. Wieder mit frischem Wasser und einer grossen Flasche Fanta beladenem Velo, schiebe ich meinen „Maulesel“ wieder hoch und zelte auf der Anhöhe neben grossen Kakteen. Superplätzchen heute!

Aiquile, das zweite grössere Dorf zwischen Cochabamba und Sucre, ist keinen Vergleich wert mit Totora. Ich esse hier zu Mittag und fahre gleich weiter. Es geht nun, einem nur wenig Wasser führenden Fluss entlang, immer leicht abwärts. Es hat kleine Dörfer am Weg und die Unterlage ist zwar nicht geteert aber der Schotter ist das reinste Himmelreich verglichen mit dem steinigen Abschnitt vorher.  Am Abend sehe ich einen Campesino auf einem Feld am Fluss und rufe ihm zu, ob ich bei ihm am Fluss zelten darf. Ich verstehe nicht was er mir sagen will aber er weist mit den Armen auf die Einfahrt. Später kommen nach und nach Leute vorbei. Einige Kinder und 3 Männer, von denen jeder behauptet, ich befände mich auf seinem Grundstück. Ich bin etwas verwirrt ob den“ komplizierten Besitzverhältnissen“ hier,  aber Sorgen brauche ich mir keine zu machen. Ein Campesino erzählt, wie hart es hier sei, denn jetzt wo die Trockenzeit beginnt, sei das Wasser schon knapp und er müsse sich bald welches mit dem Tanklastwagen herbringen lassen. Es habe schon Grundwasser aber dafür müsse man einen tiefen  Brunnen bohren und das sei sehr teuer. Am nächsten Morgen als ich mich waschen und Wasser holen möchte, werde ich selber“ Opfer“  der Wasserknappheit, denn über Nacht ist auch das letzte Rinnsal des Flusses  versiegt.

Als zweite Überraschung muss ich noch einen Platten flicken, denn  der Zeltplatz, so schön er auch war,  befand sich in dornigem Gelände. Dies nun schon zum zweiten Mal hintereinander, denn schon am Vortag ist mir dasselbe passiert.  Während dem Flicken kann ich mich mit den morgendlichen Passanten unterhalten, die auf dem Weg auf ihre Felder sind.

Am Abend bei der Suche nach einem Zeltplatz, ich fahre inzwischen auf der hügeligen Strasse entlang des Rio Chico, sehe ich eine günstige Stelle nahe eines Maisfeldes,  ziemlich weit unten. Es hat einen steilen Weg hinunter aber der Platz scheint den Aufwand Wert. Ich muss ein Gatter aufmachen aber das sollte keine Probleme geben, denk ich mir. Unten angekommen muss ich leider feststellen dass ein wenige Meter hoher Abhang den Zugang zum Wasser führenden Fluss erschwert. Zusätzlich hat der Besitzer des anscheinend so kostbaren Maisfeldes den Rand  entlang des Abhangs mit Dornenästen versehen, damit es wohl ja keinem stupiden Velofahrer in den Sinn komme, hier zu zelten. So kommt es mir in diesem Moment wenigstens vor... Es gelingt mir, nach längerem suchen und erheblichem Aufwand, dann doch noch an das Wasser zu gelangen und die Flaschen zu füllen, denn ich habe weissgott keine Lust wieder hochzulaufen und einen anderen Zeltplatz zu suchen. Und schon gar nicht um diese vorgerückte Tageszeit. 

Ab der Brücke bei der Ortschaft mit dem bezeichnenden Namen Puente Arce, ist die Strasse geteert bzw. am Anfang aus Beton. Die letzten gut 30 Kilometer, sozusagen als Dessert ganz zum Schluss serviert, der steile Aufstieg nach Sucre. Schon ziemlich abgekämpft erreiche ich  einen Polizeikontrollposten wo es nebenan kleine Lebensmittelläden hat.Während ich 2-3 Bananen esse,  frage ich  die Verkäuferin, mehr um mich selber zu betrügen,  ob es denn noch weit sei bis Sucre.  Die Antwort ist wie erwartet:  “No no, solo esta pequeñita subidita y ya estas en Sucre"!  Nur noch die kleine Steigung hier und schon bist du in Sucre, heisst das übersetzt. Man beachte dabei die Verniedlichung der Verniedlichung.  Hinter der Kurve warten selbstverständlich noch ein paar weitere Kehren welche es zu bezwingen gibt aber wer dumm fragt, kriegt natürlich eine ebensolche Antwort. Das Gefühl für Raum und Zeit in Lateinamerika scheint verlorengegangen zu sein wenn es überhaupt jemals vorhanden war.  In solchen Situationen, wenn ich am beissen bin,  bringt es mich (leider) immer noch in Rage.

Endlich, weit weit oben, so kommt es mir vor, erreiche ich den Stadtrand. Ab hier geht’s nun noch ein paar Kilometer wieder hinunter durch das geschäftige Treiben, und ich komme nach ziemlich genau  10monatiger Reise und  11655 Kilometern auf dem Tachometer,  am Ziel an:  der Plaza 25 de Mayo im Zentrum der bolivianischen Hauptstadt Sucre.

Die Lücke des fehlenden Abschnitts der Panamericana wäre gefüllt wenn ich nicht das Flugzeug genommen hätte zwischen Guatemala Stadt und Cartagena in Kolumbien. Na ja, vielleicht gibt es einmal die Gelegenheit das nachzuholen...

Die Strecke 2. Abschnitt


Die Strecke auf einer größeren Karte anzeigen

Peru 3. Teil


Von Lima bis Arequipa (27.2. - 21.3.2012, 1128km, Total: 10262km)

Nach den faulen Tagen in Lima steige ich wieder auf den Velosattel und reise weiter der Küste entlang durch die heisse Wüste. Viele Reisende, sei es per Bus, Auto oder Töff, behaupten, dass es öde und langweilig sei. Ich kann dem nicht zustimmen. Es hat doch einige Flüsse die von den Anden her an die Westküste fliessen und so Landwirtschaft ermöglichen. Zudem wird auch durch künstliche Bewässerung hauptsächlich Reis angebaut. Einsame Srände und schroffe Klippen bilden die Küstenlinie. Ich fahre meist früh morgens los, denn mittags nimmt der lästige Südwestwind Fahrt auf und es wird unerträglich heiss. Am ersten Tag zelte ich an einem kleinen Strand wo es 2-3 Restaurans hat wo man sich im Schatten gemütlich erholen kann. Man geht hier auch fischen. Da es keine Mole gibt, müssen die Männer mit Lastwagenschläuchen statt Booten hinaus auf's Meer um die Netze ein- und auszuholen. Eine enorm kraftzehrende Angelegenheit im kalten Pazifik.

Die nächst grössere Stadt ist Pisco. Das peruanische hochprozentige Nationalgetränk mit gleichem Namen stammt nicht von hier wie oft irrtümlicherweise behauptet wird. Es wurde nur hier verschifft und deshalb auf den Fässern mit "Pisco" beschriftet. Auf diese Weise ist der peruanische Traubenschnaps also bekannt geworden.

Ab hier verläuft die Panamericana landeinwärts ins gebirgige Inland nach Ica. Die Stadt ist der Hauptort der gleichnamigen Provinz und bietet nicht viel und ich fahre am nächsten Morgen gleich weiter. Es sind 2 harte Tage durch die hügelige Wüstenlandschaft nach Nasca. Ich freue mich jeweils, wenn ich wieder eines der Rasthäuser erreiche, wo man essen kann und vor allem etwas kühles zu trinken bekommt. Auch hier muss man darauf achten, nicht nur zu trinken sondern auch Elektrolyt zu sich zu nehmen um nicht zu dehydrieren. (Hab ich das richtig geschrieben?) 
Ein paar Kilometer nördlich der Stadt, nach einem happigen Aufstieg, gelangt man an die steinige Wüste mit den weltbekannten Linien von Nasca. Gleich neben der Strasse hat man einen etwa 12 Meter hohen Aussichtsturm errichtet, wo man einen guten Ausblick auf 2 Figuren hat. Die Linien stammen aus der Pre-Inkazeit. Die Ureinwohner haben die riesigen geometrischen Figuren "freigescharrt". Unter den Steinen und einer feinen Sandschicht befindet sich weisses Silizium und so sind die riesigen Zeichnungen bis heute sehr gut sichtbar. Viele Touristen besichtigen die Linien per Flugzeug. Ich begnüge mich mit dem Ausblick vom Turm und mache eine Pause im Schatten und unterhalte mich mit den peruanischen Parkangestellen. Man verlangt 2 Soles für die Aussicht und so läppert sich doch eine stattliche Summe zusammen, denn jeder Touristenbus macht einen Halt hier.

Vor einigen Jahren hat ein starkes Erdbeben die Region um Ica und Nasca heimgesucht und besonders hier in Nasca sieht man wie schludrig der Wiederaufbau gemacht wurde. Die Häuserfronten und der Platz im Zentrum sehen zwar anmächelig aus aber das ist schon alles. Vor allem in Peru hält man nichts von Verputz und Farbe. Einerseits fehlt das Geld dazu, andererseits ist es den Leuten wurschtegal.

Weiter südlich, wieder an der schönen  und heissen Küste, treffe ich seit langem wieder einen Radwanderer. Er hat sich auf ein Schläfchen hingelegt und erst traue ich mich gar nicht, ihn zu wecken. Mit einem "hola amigo!" tue ich es dann dennoch. Es ist Jason aus England. Bereits seit 2 Jahren tingelt er, von Mexico aus startend, durch Mittel- und Südamerika. Töpfe, ein Didgeridoo und Sachen in Plastiksäcken  sind auf dem Packsack des Trailers mit Gummibändern befestigt. Das Material scheint allgemein schon recht gelitten zu haben auf seiner Wanderschaft. Zusammen fahren wir zur nächsten Ortschaft Chala. Ein hässliches Versorgungskaff für Lastwagenfahrer und Reisende. Immerhin hat es ein passables Hotel wo wir uns einquartieren. Jason geht gleich zum örtlichen Velomechaniker und besorgt sich für umgerchnet kaum 2 Franken ein neues Pedal. Immerhin konnte er eines auftreiben. Über die Qualität des Dings brauche ich hier keine weiteren Worte zu verlieren. Hauptsache es hält wieder für ein paar Kilometer.

Wir kommen mit einem argentinschen Töffreisenden ins Gespräch und er schlägt uns vor, mit ihm doch auf ein Bier zu gehen. Es werden dann doch 2-3 daraus. Am nächsten Morgen, ich weiss heute noch nicht warum, oder war es vielleicht das Bier, haben Jason und ich beide Durchfall. Es ist nicht arg und so fahren wir trotzdem los. Bei einer der zahlreichen Pausen, kucke ich mir Jason's Velo etwas näher an und sage ihm, dass die Felgen schon recht abgenutzt seien von den Bremsen. Kaum eine halbe Stunde später, bei einer Abfahrt, hält Jason an und meint er habe einen Platten. Beim näheren Hinsehen erkennen wir, dass eben die hintere Felgenwand eingedrückt ist vom Bremsklotz. Ende Feuer! Die Felge ist durch und Jason kann froh sein, hat er sofort abgebremst, denn er hätte fürchterlich stürzen können.
Wir beraten im zum Glück nahen Rasthaus wie es weitergeht. Es gibt nur eine Alternative: Jason muss per Bus oder Autostopp nach Arequipa und dort neue Felgen besorgen. Ich möchte die Strecke jedoch unbedingt mit dem Velo machen. Also verabschieden wir uns und machen ab, in Kontakt zu bleiben und später evtl. wieder zusammen zu pedalen.
Am Abend erreiche ich total erschöpft das in einem grünen Tal gelegene Dorf Ocoña. Am nächsten Morgen steige ich nicht auf's Velo, sondern muss in die Apotheke rennen, denn der Durchfall plagt mich deftig. Praktisch den ganzen Tag liege ich im Bett der bescheidenen Unterkunft. Abends geht es mir wieder besser und ich kann  im Gasthaus das einfache Menu mit Suppe zu mir nehmen. Das Leben in den kleinen Dörfern ist bedeutend einfacher als in den Städten.

Vor dem Aufstieg nach Arequipa mache ich in der Küstenstadt Camana,  noch einen faulen Tag. Ich möchte ausgeruht wieder hinuaf in die Anden fahren.

Nach etwa 10 Kilometern steigt also die Strasse an und führt östlich in die kahlen Berge. Auf dem Weg nach Arequipa hat es ein Tal oder besser gesagt eine Hochebene welche dank Bewässerung fruchtbar gemacht wurde. Getreide, Früchte und Gemüse wird angebaut aber auch Viehwirtschaft wird betrieben. Ich würde sagen, dass beste Yoghourt Perus wird hier in den Molkereien angeboten.
Nach drei Tagen erreiche ich dann die zweitgrösste Stadt des Landes. Arequipa ist trotzdem nur ein Dorf verglichen mit Lima. 1-2 Millionen Menschen leben hier wie ich mir sagen lasse. Das Stadtzentrum und die Plaza de Armas sind noch kolonial erhalten und Die Strassen gepflastert mit Naturstein. Es herrscht kein Gehetz wie in Lima und das Leben ist viel gemächlicher als in der Hauptstadt. Mir gefällt's.
Vor etwa 25 Jahren war ich hier als Rucksäckler und habe den Gipfel des Hausbergs, besser gesagt des "Hausvulkans", des etwa 5800 Meter hohen Misti erwandert.  Ohne Kletterausrüstung kann man diesen Bilderbuchvulkan besteigen. Es herrscht jetzt, ende März, immer noch Regenzeit und deshalb kann man nur am Morgen früh die Aussicht auf den Vulkan und die weissen Gipfel bestaunen.

Es hat selbtsverständlich gute Konditoreien und feinen Kaffee hier, was ich sehr zu schätzen weiss. Die Küche Perus ist sehr abwechslungsreich. An der Küste habe ich fast jeden Tag einmal Ceviche gegessen. Rohe Fischstücklein, und/oder Meeresfrüchte in Limonensaft oder "Tigermilch", gerösteter Mais und etwas Salat, sind die Zutaten. Bei der Tigermilch kenne ich das genaue Rezept nicht. Der Limonensaft wird auf alle Fälle mit etwas Milch angereichert. Den "Cuy" habe ich nur einmal probiert. Meerschweinchenfleisch schmeckt vielleicht ähnlich wie Kaninchen, es hat jedoch nur wenig Fleisch am Knochen gehabt. Hätte wohl besser gleich ein Ganzes bestellen sollen. Schweinefleisch esse ich nur ganz selten hier, da ich sie zu oft am Strasssenrand im Müll herumwühlen sehe. Von den hunderten der Kartoffelsorten die es allein in Peru geben soll, habe ich nicht viel gesehen resp. gegessen. Auf den Indiomärkten entdeckt man diese noch am ehesten. Stattdessen fehlt Reis auf keinem Teller. Hühnchen ist am meisten verbreitet und das billigste Fleisch und wird in riesigen Mästanlagen produziert. Ich habe einige im Küstenbereich gesehen und gerochen. In den Anden kommen natürlich noch Lama- und Alpacafleisch dazu. Forelle ist auch sehr beliebt in der Region um den Lago Titicaca oder andere Gegenden im Hochland. Es hat inzwischen auch Forellenzuchten im grossen Stil. So vielseitig die Küche auch ist, viele Peruaner müssen sich mit Reis und Bohnen zufrieden geben, da der gesetzliche Mindestlohn kaum für mehr ausreicht. Hungernde gibt es in Peru bzw. ganz Lateinamerika leider immer noch.


Weiter bis an die bolivianische Grenze (27.3. - 8.4.2012, 452km, Total: 10714km)

Es gibt von Arequipa aus eine ungeteerte Strasse nach Puno hinauf. Diese ist jedoch nur ausgesprochenen Schotterpistenfreunden zu empfehlen und in der Regensaison kaum fahrbar mit dem Velo, da man nur zu schnell im Morast stecken bleibt. Also fahre ich auf der geteerten Hauptverbindung via Juliaca zum Altiplano.
Am ersten Tag, so etwa nach 50 Kilometern erreiche ich ein SEHR einfaches Restaurant. Die Leute leben in einer Behausung aus Strohgeflecht und Plastikplanen. Man bedenke die Höhe und die entsprechende Kälte die nun vorherrscht, so um die 3500m ü. M. Man legt dann einfach noch einen Poncho oder Pulli drüber bis die Kleidungsschichten ausreichen, um sich warm zu halten. Die Leute sind jedoch sehr freundlich und ich esse das einfache Menu bevor ich etwas abseits mein Zelt aufstelle.Am Morgen ist die Aussicht auf den Misti supereinmalig. Auch der Gebirgszug nebenan ist postkartenreif. Ich trinke meinen Morgenkaffee während ich dieses herrliche Panorama geniesse. Viele Leute fragen mich, warum ich mit dem Fahrrad reise. Ich weiss jeweils keine gute oder aureichende Antwort. Solche kurzen Momente mit dieser herrlichen Landschaft und dem Kaffee in der Hand wären mindestens eine guter Versuch. Oder habe ich zuviel Marlboro- und Camelwerbung im Kino gesehen...?

Die Luft wird allmählich dünner und immer öfter muss ich eine Verschnaufpause einlegen in den Rampen. Auch längere Steigungen muss ich nun schieben. Um die Mittagszeit erreiche ich eine grosse Hochebene wo vereinzelt Vicuñas weiden. In Imata, eines der wenigen Dörfer auf dem Weg, esse ich etwas und lasse mir eine Unterkunft zeigen. Es ist nur ein kalter Raum aus Beton mit einem Bett drin. So fahre ich weiter mit dem Plan, in 2-3 Stunden in der Pampa zu zelten. Vor mir verdunkelt sich der Horizont. Es zieht ein böses Unwetter auf. Ich kann mich gerade noch in das glücklicherweise nahe Rasthaus retten. Es beginnt zu hageln und darauf setzt Schneefall ein. Der junge Wirt erlaubt mir, das Zelt in einem der leerstehenden Gebäude aufzustellen, worüber ich sehr dankbar bin.
Am Morgen schneit es immer noch und es liegen etwa 15cm Schnee auf der Pampa. Die Strasse ist jedoch aper und nach dem Frühstück radle ich wieder los.
Auf der entgegenkommenden Strassenseite parkt ein Pickup mit einem kolumbianischen Nummernschild. Die Frau ruft mir zu: "willst du einen Kaffee?" "Sehr gerne nehme ich einen kolumbianischen Kaffee. Der Peruanische taugt nicht viel", füge ich noch hinzu. Sie heisst Alba und kommt aus Bogota, Kolumbiens Hauptstadt. Sie reist seit einigen Monaten in Lateinamerika herum und ist nun auf dem Heimweg. Aus einer Thermosflasche füllt sie 2 Tassen und wir unterhalten uns eine Weile bevor jeder wieder seinen Weg aufnimmt.
Ein paar Hügel weiter erreiche ich die Anhöhe, von der man auf  den herrlichen Bergsee "Laguna Lagunillas" hinunterblickt. Heute sieht es besonders toll aus, weil auf den umliegenden Bergen Schnee liegt. Es hat ein paar Stände am Strassenrand wo Indios Kappen und Kleider aus Alpacafell- und Wolle verkaufen. Wenn es nicht so früh wäre, würde ich nur zu gerne hier campen. Unbezahlbar diese Aussicht.
Am späteren Nachmittag, das Gelände ist nun flach und die Strasse führt einem Fluss entlang, erreiche ich Cabanillas. Auch hier sehe ich, dass es in Kürze zu regnen beginnen wird. Das Hotel an der Hauptstrasse ist ausgebucht und so lande ich in einem alten spanischen Herrschaftshaus, welches ein älteres Ehepaar in eine Herberge umfunktioniert hat. Es hat zwei grosse quadratische Innenhöfe welche mit Naturstein gepflastert sind. Das Zimmer ist sehr einfach aber die Dusche ist heiss und ich bin im Trockenen. Der Mann ist über 80 Jahre alt, sieht aber bedeutend jünger aus. Seine Frau ist mit tiefen Furchen gezeichnet. Man müsste die Zimmer etwas aufpeppen und dann wäre das hier ein super Hotel mit Landgasthaus. Darüber sind wir uns einig.
Die Stadt Juliaca lasse ich links liegen, resp. fahre einfach ohne anzuhalten durch das Zentrum, denn zuviele Leute haben mir erzählt, dass die Ortschaft hässlich sei und es von "Rateros" (=Dieben) wimmeln soll. In einem kleinen Dorf treffe ich auf 4 Radfahrer aus der Schweiz. Die 2 Pärchen haben sich unterwegs getroffen und fahren nun zusammen. Sie sind auch schon etwa 8 Monate "on the road" wie ich und haben in Feuerland ihre Reise begonnen. Sie möchten heute noch ein rechtes Stück vorwärts kommen und so unterhalten wir uns nicht lange und verabschieden uns.

Kurz vor Puno geht es nochmals über einen Berg und auf der Passhöhe hat man einen guten Ausblick auf den Titicacasee und die Stadt. Das Gewässer ist der höchstgelegene schiffbare See der Welt auf etwa 3600m. ü. M und Puno das kommerzielle und kulturelle Zentrum. Die Bewohner sind Nachkommen der Inkas und stolz darauf. In den Strassen sieht man noch viele Frauen in sonntäglichen bunten Trachten. Tourismus ist sicherlich die Haupteinnahmequelle wenn ich all die Hotels und Restaurants  im Zentrum sehe. Es ist jedoch jetzt Nebensaison, ziemlich ruhig und sehr angenehm. Ein paar faule Tage darf man hier schon machen.

Am Ortsende von Llave hat es einen Kontrollposten. Ein holländisches Paar, mit einem Reisecamion von Bolivien kommend, bittet mich um Hilfe als Übersetzer. Ich ahne nichts böses und helfe den beiden gerne, mit der Polizei zu reden. Die beiden Uniformierten sind bewaffnet und haben bereits die Reisepässe "eingesackt". Unter dem billigen Vorwand, sie hätten die Abblendlichter des Camions nicht eingeschaltet, fordern sie die Höllander auf, satte 100 US$ "Busse" zu zahlen.  Die Sache endet (leider) mit der Bezahlung der "Busse" und es tut mir im Nachhinein sehr leid, dass es soweit hat kommen musste. Mit geschickterer Verhandlung  hätte man bestimmt den Betrag herunterfeilschen können aber auf diese Situation war ich völlig unvorbereitet. Zudem wollte ich mich nicht allzusehr  in die Sache hineinziehen lassen. Diese korrupten Kerle haben ein fein inszeniertes Theater abgezogen. Einer spielt den Bösen und Beleidigten um uns Angst einzujagen und dann verhandelt man mit dem "Guten".  Die Sache beschäftigt mich noch lange. Einerseits war ich bestimmt sehr naiv, andererseits hatten die beiden Banditen die Pässe in ihrem Besitz und somit war von vornherein wohl nicht viel zu machen.

Am Nachmittag erreiche ich die Ortschaft Juli, wunderschön gelegen am Titicacasee, und übernachte dort ein letztes Mal in Peru. Ich muss zugeben, nach dem Vorfall in Llave bin ich froh,  am nächsten Tag, etwa nach 50 Kilometern, in Bolivien anzukommen.





Peru: 2. Teil

Von Chiclayo bis Lima (26.1. - 13.2.2012, 1826km, Total: 9149km)

Die Panamericana führt nun etwas abseits der Küste und 120 km weiter, in Pacasmayo, wieder an den Pazifik zurück. Etwas weiter übernachte ich in San Pedro de Lloc. In dieser Kleinstadt stehen viele Häuser leer. Viele Menschen sind abgewandert und suchen ihr Glück in den Städten. Man lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft. Im grossen Stil wird, dank künstlicher Bewässerung, hauptsächlich Reis und Zuckerrohr angebaut. Ein Mann erklärt, dass das Wasser für die Reisfelder jeden Tag einmal abgelassen werden muss, weil es sich durch die Tropensonne zu sehr erwärmt. Die Sprösslinge würden eingehen ohne diese Massnahme.
Am Morgen zeigt mir der ältere Hotelbesitzer die lokale Zeitung. "5 Morde in 7 Tagen" ist die Schlagzeile auf der Frontseite. Das sei in der Nähe von Chepén, Die Stadt habe ich gestern passiert. Ich solle aufpassen in Paijan denn dort würden besonders viel Reisende überfallen, ist sein Rat für die Weiterreise.
Am Mittag erreiche ich also das "Räubernest" Paijan. Tatsächlich versucht ein junger Mann die grosse hintere Tasche wegzuzerren. Diese ist zu gut befestigt und der Mann rennt weg während ich ihm laut hinterherfluche. Etwas ausserhalb des Dorfes sehe ich ein nettes Restaurant und ich beschliesse, dort zu essen. Die Gefahr scheint vorüber, bin ich doch ein ganzes Stück abseits der Ortschaft.
Ein Polizeiauto fährt heran und der Beamte sagt mir, das die Polizei mich schon länger beobachten würde und es sehr gefährlich sei hier anzuhalten. Er verspricht, die Polizei im nächsten Ort zu benachrichtigen, damit ich am Abend sicher in Trujillo ankommen würde. Zur Sicherheit alarmiert er gleich einen Kollegen der auch in kürzester Zeit vor Ort ist. So ganz kaufe ich ihnen die Geschichte, dass sie mich schon länger gesehen haben, nicht ab, sonst hätte man nicht versucht mich zu berauben. Ab hier fühle ich mich nun sicher, denn alle paar Kilometer steht eine Polizeistreife oder passiert mich mit einem Gruss.

Am späteren Nachmittag erreiche ich die Hafenstadt Trujillo. Unter Velofahrern ist die Stadt ein beliebtes Ziel weil sich dort die "casa de ciclistas" (Haus der Radfahrer) befindet. Das bescheidene Haus ist zwar mit "casa de amistad" (Haus der Freundschaft) angeschrieben , ist jedoch unter ersterem Namen bekannt geworden. Luis Ramiro D'Angelo, mit Kurznamen Lucho, und seine Familie beherbergen seit den Achtzigern Velofahrer aus aller Welt. Es hat eine gut ausgerüstete Werkstatt und wenn es zu eng wird im Schlafraum, kann man schon mal das Zelt im grossen Gang aufstellen. Er verlangt höchstens einen Spendenbeitrag für seine Veloschule für Kinder. Lucho spannt mich gleich ein, ihm beim Transport einer Musikanlage die er vermietet, zu helfen. Ein weiteres Standbein seiner vielen Tätigkeiten. Man müsse hier flexibel sein um sich das Auskommen zu verdienen, sagt er mir. Ich kann ihm nur beipflichten. Zurzeit bin ich der einzige Gast, was selten sei. Er stellt gleich fest, dass die Räder meines Velos katastrophal eingespeicht wurden, damals in Mexico. Innert kurzer Zeit hat er die Speichen fachmännisch montiert und haargenau ausgerichtet. Wahnsinn! Ich erzähle ihm die Geschichte von Paijan. Natürlich weiss Lucho um die Gefahren in diesem Ort für Veloreisende. Er sei ständig in Kontakt mit der Polizei und sobald sich ein Reisender anmeldet, würde er um eine Eskorte bitten. Eine Frau habe ihm gemailt, dass sie in einigen Tagen ankommen würde.

Lucho empfiehlt mir wärmstens, die Strecke entlang des Rio Santa durch den "Cañon del Pato" nach Huaraz zu befahren. Ich hatte ursprünglich nicht vor wieder in Regensaison in die Anden zu fahren aber Lucho redet so begeistert von dieser Strecke, dass ich meine Pläne ändere.

Am Morgen meiner Weiterreise begleitet mich Lucho noch durch die Stadt und die ganze kilometerlange Steigung südlich von Trujillo. Er wäre gleich mit mir weitergefahren, hätte er Zeit gehabt. Radverrückte gibt es wenige in Peru. Lucho ist sicherlich der grösste und hilfsbereiteste unter ihnen.

Am nächsten Tag erreiche ich die Abzweigung Richtung Osten auf die Schotterpiste nach Huaraz. Müde komme ich abends nach einem harten aber sehr schönen Tag im kleinen Ort Chuquicara an. Es gibt ein paar Stände mit Früchten und Esswaren und sogar ein Restaurant. Viele Häuser sind auch hier verlassen. Die noch bewohnten Häuser unterscheiden sich nur durch die verriegelten Fenster und sind genauso trostlos. Eigentlich sind das menschenünwürdige Behausungen. Ich zelte auf dem kleinen Platz neben dem Polizeiposten. Dass ich hier beraubt werde ist nicht möglich. Eine Frau bietet mir sogar ein Zimmer an aber es ist ein trauriges Loch. Man muss es sagen wie es ist ohne der Frau einen Vorwurf machen zu wollen. Man lebt so hier.
Über eine Brücke geht es auf die andere Seite des Rio Santa, weiter auf der schlechten Piste immer aufwärts. Bald merke ich, dass ich kaum vorwärtskomme. Ich würde vielleicht 30 Kilometer machen pro Tag. Allein der Schotterpistenabschnitt von etwa 100 Kilometern würde also 3-4 Tage mühsame Schieberei in extremer Hitze dauern. Das ist mir nun doch zuviel. Zuerst nimmt mich ein Pickup etwa 20 Kilometer mit, danach steige ich in einen lokalen Bus um, dessen Reifen schon total abgefahren sind. Kein Wunder wird die Rumpelfahrt durch einen lauten Knall abrupt unterbrochen. Ein Reifen ist zerplatzt. Der Ersatzrpneu ist, kaum zu glauben, in noch schlechterem Zustand als sein Vorgänger aber wie durch ein Wunder erreichen wir den Ort Huallanca ohne weitere Panne. Von hier aus schiebe und fahre ich eine Weile weiter. Das Tal ist eng und geht beidseitig sicherlich 1000 bis 2000 Meter steil hoch. Die Wassermassen pressen sich wild durch die enge Schlucht. Ich würde sagen: nicht fahrbar für Wildwasserspezialisten ohne Todessehnsucht. .
Man hat mir gesagt, dass auf diesem Abschnitt 32 Tunnels in den Stein gehauen sind. Ein Lastwagen hält neben mir an und der Chauffeur fragt ob ich mitfahren will. Ich überlege kurz und nehme die Offerte an. Wir sind vier Leute in der Kabine und es ist eng. Am Abend erreichen wir die Stadt Huaraz, auf etwa 3000 M. ü. M.  Immerhin habe ich die Strecke entlang des Rio Santa befahren, wenn auch ausnahmseise ber Anhalter, sage ich mir.

Huaraz gehört zu den meistbesuchten Orten in Peru. Alpinisten, Eiskletterer Wanderer usw. toben sich hier auf der "weissen Kordilliere" aus. Jetzt,  in der Saison wo es jeden Nachmittag regnet, ist nicht so viel los. Ab etwa April beginnt dann die Schönwetterperiode und die Touristen "übernehmen" die Stadt. Die meisten zieht es auf die eisbedeckten Fünf- und Sechstausender, Der Höchste von ihnen ist der Huascaran mit 6768 M. ü. M. Ich habe Glück, dass ich den Koloss an einem Morgen zu sehen kriege und ein Erinnerungsfoto machen kann.

Ab hier fahre ich nun wieder mit dem Velo weiter Richtung Süden. Es geht noch rauf bis 4000 M. ü. M. und am ersten Tag zelte ich mit Kopfschmerzen nach etwa 60 Kilometern etwas unterhalb der Passhöhe vor Conococho. Am nächsten morgen frühstücke ich in einem Restaurant des Ortes und die lokale Bevölkerung (na ja, mindestens einer) ist bereits beim Frühstücksbier...Ich bestelle nur einen Coca-Tee um das  Kopfweh zu lindern welches mir die Höhe bereitet.

Ab hier führt die Strasse wieder westlich an die Küste und es geht spektakulär in Serpentinen hinunter durch ein grünes Tal bevor ich mich wieder in der heissen Wüstenzone finde. Ich zelte nochmal neben der Strasse in der Nähe eines Flusses bevor ich wieder auf die Panamericana stosse, 20 Kilometer vor Barranca.

2 Tage später erreiche ich Lima, die Hauptstadt Perus. Lima ist der Magnet des Landes und hat etwa 9 Millionen Einwohner. Ich weiss nicht, ob da die Armenviertel am Rand mitgerechnet sind. Es scheint mir, als ob alle Peruaner nach Lima wollen. Es ist das Geschäts- und Industriezentrum des Landes. Man kann nur hoffen, dass auch etwas in die Dörfer und Städte ausserhalb dieses Molochs investiert wird um die "Flucht in die Grosstadt" zu verringern.

Ich bin nun im Zentrum der Stadt im Hotel España. Ein gut erhaltenes, altes Gebäude mit viel Flair. Auf der grossen Veranda des 2. Stockes hat es ein Pfauenpaar und Schildkröten und auch ein bunter Ara fliegt frei herum. In den Gängen hängen alte Bilder von verstorbenen Persönlichkeiten. Leider hat es keine Ventilatoren in den Zimmern. Es ist ungewöhnlich heiss und normalerweise steigen die Temperaturen nicht über etwa 25 oder 28 Grad, wie man mir gesagt hat.
Lucho meinte, ich solle unbedingt das Museum der Inquisition besuchen. Ich weiss nicht ob er das gesagt hat weil der Eintritt frei ist oder weil es besonders interessant ist...

Peru: 1. Teil

Von der ecuadorianischen Grenze bis Chiclayo (13.1. - 24.1.2012, 1618 km, Total: 8323 km)

Im peruanischen Zollgebäude, das am zerfallen ist, kommt eine junge Frau auf mich zu und gibt mir Tipps und etwas Kartenmaterial worüber ich mich sehr freue. Ich habe nicht gesehen, dass gleich neben dem Zollschalter ein kleines Tourismusbüro ist, und die Dame ist auf mich zugekommen. Sehr nett.

Im Grenzgebiet der Küste von Peru und Ecuador verändert sich die Landschaft innert weniger Kilometer abrupt. Schnell ist es vorbei mit den Bananenplantagen und dem üppigen und tropischen Grün. Es wird steppenartig oder gar wüstenhaft. In Tumbes, nach 26 Kilometern auf der Panamericana, suche ich ein Hotel mit Klimaanlage, denn die enorme Hitze macht mir schwer zu schaffen. Ich finde auch etwas aber es hat kein Fenster im Zimmer. Die Fassaden an der Strassenseite der Hotels sehen jeweils sehr einladend aus aber dahinter... na ja! Dazu muss ich das Velo und die Taschen meist einige Treppen hochschleppen. Ebenerdige Hotels sind eine Rarität. Längst habe ich mich daran gewöhnt.
Das nächste Stück ist echt schön, führt die Strasse doch direkt entlang malerischer Strände und FischerdörferIn Punta Sal, übernachte ich in einem kleinen Hotel am Strand. Für peruanische Verhältnisse ist das kleine Strandparadies möndän und teuer. Wohlhabende Städter haben hier ihre Wochenend- und Ferienhäuser. Ein kurze Tagesetappe weiter lande ich in Mancora. Ich staune nicht schlecht, als ich den Rummel auf der Strasse sehe und all die Restaurants und kleinen Hotels. Es ist Hauptferienzeit und junges Volk, vor allem viele Argentinier, machen hier Surf- und Partyferien.  Auf dem Dorfplatz treffe ich auf ein junges Paar aus Argentinien, die ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs sind. Sie möchten eine Weile hier bleiben und etwas Artesania (selbstgefertigtes Kunsthandwerk) an die Touristen verkaufen. Die Frau erzählt mir, wie sie in Bolivien schon in Hotels und Restaurants gearbeitet haben, um Geld für die Weiterreise zu verdienen. Der junge Mann schleppt in einem Anhänger noch seinen Hund durch die Wüste. Das nenne ich doch wahre Tierliebe! Zusammen erkunden wir den einfachen Zeltplatz, den ein Surfer auf seinem Grundstück anbietet. Die sanitären Anlagen sind mir jedoch zu dreckig um dort zu campen. Der Mann verlangt etwa 1.50 Franken pro Zelt. Grund genug für die ausgebrannten argentinischen Velofahrer dort zu bleiben. Am Abend kehre ich in einem der unzähligen Restaurants ein und wie es der Zufall so will, ist der Besitzer ein Schweizer dessen Vater nach Peru ausgewandert ist. Nach einigen Zwischenstationen, unter anderem in den USA und auch der Schweiz, hat er sich hier niedergelassen und die Herberge mit dem Lokal eröffnet. Das einfache, vergleichsweise bescheidene, aber beschauliche Leben in diesem Strandresort scheint ihm sehr zu gefallen.

Auf dem nächsten Tagesabschnitt hat es eine etwa 4 Kilometer lange Steigung und einige Passanten warnen mich regelrecht davor. Es habe 32 Kurven und gehe steil bergauf. Die Leute wissen ja nicht, dass ich vorher in den Anden von Ecuador war... Der kleine Pass ist denn auch, trotz aller "Warnungen",  relativ leicht und abends bin ich in der Ölstadt Talara. Die Anfahrt ins Zentrum führt entlang trauriger Armenviertel mit staubigen Strassen. Da liegen die Öldollars gleich vor der Tür und die Menschen hausen wie die Tiere. Nichts Neues also auch hier in Peru...  Es gibt sogar eine riesige Raffinerie hier. Sie soll den Amerikanern gehören (!). Das Benzin ist selbstverständlich teuer wie sonstwo.

Die etwa 90 Kiometer nach Sullana führen wieder landeinwärts durch trockendste Wüste. Ich bin froh, so um die Mittagszeit in einem kleinen Laden Schatten und ein kaltes Getränk gefunden zu haben. Zu essen gibt es leider nichts mehr. Macht nichts, denn ich hab ja immer etwas kleines dabei zum knabbern und einige Kilometer weiter kann ich in einem Dorf, dass auf der Karte nicht eingetragen ist, fein essen gehen. Je mehr ich mich der Stadt nähere, desto grüner wird's.  Es hat Reisfelder welche künstlich bewässert werden und Vieh auf den Weiden. Das Wasser kommt von einem Stausee und vom nahen Rio Chira. Die sommerlichen Regenfälle sind jedoch bisher ausgeblieben.

40 Kilometer weiter südlich bin ich bereits in Piura, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Es soll eine der ältesten Städte Perus sein, hat jedoch nur ganz wenige erhaltene Gebäude aus der Kolonialzeit.
Als nächstes steht die Durchquerung der Sechura-Wüste an. Der Coiffeur erzählt, dass es auf halbem Weg, nach ca. 100 Kilometern, ein Roadhouse mit Restaurant geben soll. Ich lasse mir diese Information nochmals bei der Rezeptionistin im Hotel bestätigen bevor ich es wirklich glaube. Zu oft hat man mich schon "in die Wüste geschickt" wie man hier passend sagen kann. Noch vor 6 Uhr am Morgen (!) fahre ich also los damit ich so um die Mittagszeit das Roadhause erreichen sollte. Die Dörfer ziehen sich jedoch noch bis etwa 40 Kilometer entlang der neuen Panamericana hin und in Walter's Restaurant kann ich gemütlich das Frühstück nachholen auf das ich in Piura wegen der frühen Stunde verzichten musste. Dieses saubere Restaurant kann ich nur weiterempfehlen, denn das Ziegenfleisch und die Beilagen sind für einmal vorzüglich und die Leute sehr freundlich. Leider kann man das nur selten von den Restaurants in der Wüste behaupten.
Bei einem Verkaufsstand, wo "Wüstendelikatessen" angeboten werden, unterhalte ich mit mit der Verkäuferin. Diese Jahr, und schon vorher, habe es leider nur sehr wenig geregnet und es gäbe daher nicht mehr viel Wildhonig und bohnenförmige, süsse Früchte des Algarrobo-Baumes. Die Niederschläge, die durch das  El-Niño-Phänomen entstanden sind, sind leider in den letzten Jahren ausgeblieben und die Tier- und Pflanzenwelt macht dadurch eine schon lang anhaltende Dürre durch. Um halb zwei erreiche ich dann, wie geplant, das Roadhaouse und trinke dort etwas kühles. Eigentlich warte ich nur bis die Schatten länger werden und es etwas abkühlt, damit ich das Zelt ein paar Kilometer weiter aufstellen kann. Es stinkt nach Fäkalien und Urin, denn die Männer die hier eine Pause einlegen, machen sich nicht die Mühe auf's WC zu gehen und erledigen ihre Notdurft gleich auf dem Parkplatz hinter ihren Autos. Der Wind vom Klo hinter dem Haus weht den Gestank ebenfalls vor das Restaurant.
Ich bin froh, als es endlich Abend wird und ich diesen traurigen Ort verlassen kann und finde einen Lagerplatz abseits der Strasse zwischen den verdorrten Bäumen. Während des nachmittags ist ein Wind aufgekommen, und so profitiere ich vom Durchzug im Zelt. Die Hitze wäre sonst fast nicht auszuhalten.
Am nächsten Tag kämpfe ich gegen den Wind und zudem geht es noch leicht bergauf. Die Dünenlandschaft ist zwar eindrücklich aber das Vorwärtskommen sehr anstrengend. Nach 85 Kilometern erreiche ich das Dorf Morrobe und es hat dort ein neues, einfaches Hotel. Super!
Von hier sind es nur noch 40 Kilometer nach  Chiclayo, einer ziemlich grossen Stadt hier in Nordperu. Es scheint so etwas wie ein Las Vegas zu sein, wenn man die zahlreichen Casinos im Zentrum und die Lage in der Wüste als Vergleich nimmt. Warum Chciclayo "die Stadt der Feundschaft heisst" weiss ich nicht. Auch hier ist es rundum fruchtbar dank des Tinajones Staudamms der hier Landwirtschaft ermöglicht. Ich finde es sehr schön hier, auch wenn wie in Piura, keine alten Kolonialgebäude erhalten sind. Das Zentrum ist sauber und es ist nicht vom Masssentrourismus "verdorben". Es ist daher auch viel billiger für die Bewohner. Nicht vergleichbar mit Mancora weiter nördlich. Der Tourismus hat einerseits die gute Seite, dass es ein Einkommen bringt, andererseits steigen dadurch die Preise für die einheimische Bevölkerung, die nur wenig verdient.

Ecuador Teil 2

Von Riobamba bis nach Huaquillas  (12.12.2011-11.01.2012, 1015km, Total: 7715km)

Von Riobamba bis nach Cuenca, der nächsten grösseren Stadt auf der Panamericana südwärts, sind es zwar nur ca. 260 Kilometer aber es ist enorm gebirgig. Um die Mittagszeit des ersten Tages, so nach gut 50 Kilometern, bin ich entkräftet. Ich habe schlecht geschlafen und bin etwas erkältet. Bei der Tankstelle in Guamote unterhalte ich mich mit einem Campesino der auf eine Transportmöglichkeit wartet, die ihn zu seinem kleinen Bauernof, 8 Kilometer entfernt in den Bergen, mitnehmen möge.
Er hat ein paar Kühe, Hühner und etwas Ackerland wovon seine Familie mehr oder weniger selbstversorgerisch lebt oder besser gesagt, überlebt. Seit der Ankunft der Spanier vor ca. 500 Jahren hat sich das Leben der Campesinos, die indigene Landbevölkerung, die immer noch den Grossteil der Population ausmacht, kaum verändert. Man könnte auch sagen "kaum verbessert". Sie verkaufen auf dem Markt oder an die kleinen Läden im Dorf etwas Milch, Frischkäse oder andere landwirtschaftsprodukte Produkte um etwas Bargeld zu verdienen. Die farbenprächtigen traditionellen Kleider der Frauen täuschen über die Armut auf dem Land und in den Dörfern hinweg. Die Campesinos leben praktisch abseits der Gesellschaft und der  Metropolen, wo sich der Reichtum und die Haupteinnahmen des Staates und der Privatunternehmen anhäuft. In Guamote, wie in vielen anderen Dörfern, werden zwar fleissig Strassen gepflastert oder geteert und andere Infrastrukturverbessererungen getätigt aber die Einkommenssituation ist immer noch miserabel. In den Läden findet man nur das Nötigste und im kleinen Restaurant des Dorfes gibt's nur ein Menu: Reis mit etwas Hühnchen und 2 Blättchen Salat. Ich kann froh sein, dass es überhaupt eine Essensmöglichkeit gibt. In einem der Läden frage ich nach etwas bestimmtem. Ich weiss jetzt auch nicht mehr was es genau war, aber ich erinnere mich sehr wohl an die Antwort: er sei zu arm, um ein grösseres Angebot an Waren führen zu können.

Im folgenden Abschnitt werde ich mich über die Armut  und die Situation der indigenen Bevölkerung etwas auslassen. Warum tue ich das? Gute Frage. Seit Wochen oder Monaten, eigentlich seit ich in Kolumbien in die Anden gefahren bin, ist es meistens kalt und regnerisch. Das scheint mir auf's Gemüt geschlagen zu haben. In Guamote sehe ich die armen Campesinos, die ein paar Kilo Kartoffeln  zu einem schäbigen Preis verkaufen möchten, während nebenan luxuriöse Touristenbusse vorbeidonnern.. Solche Tatsachen geben mir zu denken. Arm und reich stehen sich gleich gegenüber und trotzdem ist da eine tiefe, breite und unüberwindliche Schlucht, die sie trennt. Da muss man doch ins Grübeln kommen. Der folgende Abschnitt ist also kein Reisebericht sondern mein persönlicher Auslauf über die Armut Südamerikas, wie ich das so sehe. Manch ein Leser wird vielleicht nicht meiner Meinung sein,  hat andere Erfahrungen gemacht, oder eine positivere Entwicklung gesehen. Totzdem schreibe ich diese Zeilen nun.Wer sich dafür nicht interessiert, kann diesen Teil auslassen. Die Veloreise geht bestimmt weiter.

Heute im Cafe habe ich die lokale Zeitung angeschaut. Die Meldung, dass Ureinwohner im Amazonasgebiet von Ecuador eine milliardenschwere Schadenersatzklage gegen den Erdölmulti Chevron eingereicht haben, ist dem Blatt nur eine schmale Spalte in der hinteren Hälfte wert. Was auf der Frontseite steht ist zum vergessen. Die Indios klagen den Multi an, Schadeneratz für die Zerstörung ihres Lebensraums, die Verschmutzung des Wassers, des Bodens usw. zu zahlen. Selbtst wenn die Indios diesen Prozess gewinnen würden, käme es nie zu einer Auszahlung von Chevron, denn inzwischen hat sich der Erdölmulti bereits aus Ecuador zurückgezogen. und ist somit nicht mehr haftbar zu machen. Höchstens noch in einer internationalen Instanz. Mit anderen Worten: Die Gewinne sind gemacht, der Rest interessiert uns (Chevron) nicht. So läuft das hier in Lateinamerika.
In den letzten Jahren ist der Erdölexport Ecuadors rückläufig. Dies einerseits aus Naturschutzgründen aber andererseits auch weil man die vorhandenen Anlagen nicht mehr wartet. So sind z.B. Unmengen Erdöls wegen lecker Leitungen verloren gegangen und in den Boden geraten. Was hat das für Folgen? Ecuador hat keine eigene Oelraffinerien. Man muss als erdölproduzierendes Land Benzin teuer einführen. Vor gut 10 Jahren hat Ecuador schwere wirtschaftliche Zeiten ducrchgemacht. Vorher hat eine Regierung die andere abgelöst. Die Währung ist zerfallen, die Wirtschaft war am Boden. Als Folge wurde der US-Dollar eingeführt und die Wirtschaft hat sich wieder etwas erholt. Man hat sich jedoch durch die Dollarisierung seiner eigenen Geldpolitik beraubt und ist nun auf Gedeih und Verderb, noch mehr als die Länder mit eigener Währung, auf den Export des Erdöls und der Bananen angewiesen. Zusammen mit den Ueberweisungen der ausgewanderten Ecuadorianer, es sind ca. 2 Millionenen(!), aus den USA und Spanien, sind dies die grössten Devisenbringer. Der Tourismus kommt erst nachher in dieser Liste. Bis jetzt ist die Rechnung noch einigermassen aufgegangen. Wie lange wird das noch (gut) gehen?
Die Rechnung ist wohl bis jetzt dadurch einigermassen aufgegangen weil die Campesinos praktisch selbstversorgerisch leben und höchstens ein paar Dollar im Tag verdienen. Sie sind zwar zahlenmässig die Mehrheit Ecuadors, einkommens- und vermögensmässig sind sie jedoch praktisch unbedeutend. Während die Mächtigen und Reichen in Quito, Guyaquil und hier in Cuenca schwelgen, feiern und hemmungslos in Saus und Braus leben wie die Feudalherren der Kolonialzeit, lässt man die Campesinos darben. Auch wie in der Kolonialzeit. Man benutzt sie höchstens noch als Stimmvieh. In die Infrastruktur der Andendörfer wird investiert. Man muss wohl etwas an Wahlversprechen einlösen. Das miserable Einkommen bleibt. Das Bildungsniveau auf dem Lande ist katastrophal. Analphabetismus ist auch heute noch keine Seltenheit. Ich könnte noch endlos weiterfahren mit Ungerechtigkeiten gegenüber den Campesinos und anderen indigenen Völkern, vor allem auch in Amazonien. Arbeit ist in ganz Lateinamerika nicht viel wert. Auch heute noch wird von Kinderarbeit nicht zurückgeschreckt. Z.B. sieht man vielerorts Kinder, die auf der Strasse Kaugummi oder Süssigkeiten verkaufen, um vielleicht ein paar Cents zu verdienen.  Wir profitieren in den westlichen Industrieländern von billigen Produkten aus Lateinamerika. Max Haavelaar und andere Labels sind meiner Meinung nach gut aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Alle profitieren wir. Gerade wir in der Schweiz. Auf den Bankkonten unseres Landes liegen wohl Unsummen, legal, halblegal oder illegal, erworbener Gelder jener Minderheit, die den Hals nicht voll genug bekommt. Gerne machen wir Geschäfte mit ihnen und dieses Geld kurbelt wiederum unsere Wirtschaft an.
Trotz jahrzehntelanger Hilfe aus privater und öffentlicher Hand aus dem In- und Ausland, ist die Armut immer noch riesig und allgegenwärtig. Im Internet kann man sich heute Statistiken leicht anschauen. Was läuft falsch? Es hätte doch genügend Mittel, um alle Menschen mit Nahrung, Bildung, Wohnung und Chancengleichheit ein würdiges Leben führen zu lassen.
Was mir, wie allgemein bekannt, am meisten zu denken gibt, ist die Tatsache, dass alle Länder Lateinamerikas reich an Bodenschätzen und fruchtbarem Land sind. Die Verteilung der Erträge jedoch, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Wie lässt sich diese Situation ändern? Haben wir in den "entwickelten" Industirieländern überhaupt ein wirtschaftliches Interesse daran, dass sich das ändert? Welches sind die Ursachen und wo sind die Lösungswege, um die immer noch eklatante Armut der Länder Lateinamerikas zu lindern? Fragen über Fragen die sich stellen. Es gibt Institutionen zu Hauf wie UNO, Weltbank, Hilfswerke, EU,  usw. usw. Dazu kommen noch staatliche Hilfe aus aller Welt und dem Inland. Das Problem ist mehr als bekannt, ist analysiert bis auf den Grund. Auch weiss man, wie die armen Menschen zu einem menschenwürdigen Einkommen kommen könnten. Also, warum setzen wir die Projekte, die fixfertig in der Schublade liegen, nicht um? Die Antwort kenne ich nicht. Grundsätzlich wird der Wohlstandskuchen viel breiter verteilt werden müssen. Weder wir in der sog. 1. Welt, noch die Oberschicht Lateinamerikas verzichtet freiwillig auf Gewinne, Einnahmen oder Lebensstandard (wie immer man das nennen möchte). Schlussendlich muss aber jemand die Zeche bezahlen. Bereitschaft ist keine da. Also wird weiter gewurschtelt wie bisher mit Almosenunterstützungen und Alibihilfe.
Der Lohn eines Arbeiters in Lateinamerika sollte doch grundsätzlich dieselbe Kaufkraft haben wie diejenige eines Europäers, oder nicht? Ein Kleinbauer dürfte doch seine Produkte zu einem fairen Preis verkaufen können? Die Arbeiter auf den Bananenplantagen Ecuadors oder den Kaffeeplantagen in Kolumbien haben doch ein Recht auf einen Lohn welcher ausreicht um ihre Familien zu ernähren? Die Arbeitsbedingungen in Lateinamerika sind leider immer noch vorsintflutlich.Gewerkschaften gibt es wohl, sind jedoch machtlos.
Natürlich muss man aufpassen mit Generalisierungen. Die einzelnen Länder haben grosse Unterschiede. Man mag Chile, Argentinien und Brasilien als sog. Schwellenländer bezeichnen. Dies dank nackten Zahlen von Bruttosozialprodukt, durchschntllichem Einkommen, Handelsbilanzen usw. Auch in diesen Ländern lebt der Grosssteil der Bevölkerung unter miserablen Verhältnissen. In allen südamerikanischen Ländern, so würde ich grundsätzlich behaupten, ist eine gute Ausbildung eine Geldfrage. Nur die besser Gestellten können sich das leisten. Die Studentendemonstrationen kürzlich in Chile sind nur EIN Beispiel.  Ueber die politischen Verhältnisse ist es wohl schwierig einen Kamm über alle Länder zu scheren. Stabil sind sie nirgends. Parteien kommen und gehen. Mehrheiten die heute Gütligkeit haben sind morgen nichts mehr wert. Verfassungen werden ständig geändert. Regierungskoalitionen sind daher schnell zerstritten und die Präsidenten halten sich kaum eine Amtszeit. Eines führt zum anderen. Die Militärs funktionieren in vielen Ländern, z.B. Ecuador, eine unabhängige Rolle und können eigentlich jederzeit die Macht übernehmen. Es ist, als ob sie nur darauf warten würden bis es (noch mehr) kriselt und sie davon profitieren können. Tritt eine Regierung zurück oder wird nicht wiedergewählt, folgen Prozesse wegen Bestechungen, Bereicherungen usw.. Man könnte noch seitenlang schreiben über die skandalösen Zustände. Grundsätzlich ist es wurschtegal wer gerade an der Macht ist, denn auch der grösste Menschenfreund und idealistische Sozialist wird nach einer Weile zum Handlanger der Lobbyisten der internationalen Grosskonzerne und der reichen Oberklasse. Neuestes Beispiel ist wohl Evo Morales in Bolivien.
Noch ein paar Worte zu Kolumbien, wo ich doch eine Weile unterwegs war: Der Präsident Kolumbiens hat in seiner Hilflosigkeit, die Guerillaarmee FARC wirksam zu bekämpfen, bekanntgegeben, dass man darüber diskutieren solle, das Kokain zu legalisieren. Dies notabene, nachdem eine Armeepezialeinheit, mit Hilfe amerikanischem Higtech, den Führer der FARC erschossen hat. Die Meldung und deren Details wurden im Staatsfersehen und der Presse gross aufgezogen. Die Leute haben jedoch kaum hingeschaut. Als Vergeltung wurden etwa eine Woche nach dieser "Heldentat" 3 Geiseln, die die FARC bereits über 10 Jahre gefangenhielt, als Vergeltung umgebracht. Die FARC ist  ursprünglich eine Absplitterung der regulären Armee Kolumbiens, welche danach linksextreme politische Ziele mit Gewalt verfolgte. Heute sind sie eine kriminelle Bande welche sich mit Drogenanbau- und Handel sowie Kidnapping finanziert, und das Land leider immer noch terrorisiert. Ich möchte noch erwähnen, dass sich durch die Bekämpfung der verschiedenen Guerillas, die FARC ist nicht die einzige Gruppierung, einiges gebessert hat im Laufe der letzten Jahre. Was diese Problematik angeht, lasse ich mich gerne eines besseren belehren, falls ich etwas falsch interpretiert haben sollte. Die Kolumbianer reden nicht gerne über dieses Problem und schon gar nicht mit einem Touristen
Angesichts der Tatsachen, die ich hier eigntlich nur ganz grob beurteilt habe, scheint es ein aussichtsloser Kampf "die Lunge der Erde", nämlich den amazonischen Urwald, erhalten zu können. Brasilien, sowie die anderen Staaten dieser Region haben alle Gesetze und die Einsicht um den tropischen Regenwald zu schützen. Dies reicht jedoch bei weitem nicht. Genau diese Gesetze werden gewinnbringend aufgeweicht. Vom illegalen Raubbau zwecks Holzgewinnung, Brandrhodung, Kokaanbau,Verschmutzung durch Goldabbau usw. brauche ich gar nicht zu schreiben. Zum weitern kann man es den landlosen enteigneten Kleinbauern nicht ankreiden, wenn sie um zu überleben in Amazonien Wald rhoden.
Ich habe hier in geraffter Form geschrieben. Es versteht sich von selbst, dass die Ursachen und vor allem die Wege der Verbesserung der Armut, viel komplexer sind als ich es hier dargestellt habe. Viele Aspekte fehlen.

In Guamote also, um wieder auf die Reise zurückzukommen, frage ich nach einer Unterkunft. Man lotst mich zu einem Haus, befestigt durch einer hohe Mauer  und ein eisernes Tor. Eine freundliche junge Belgierin begrüsst mich und teilt mir mit, dass gerade heute eine grössere deutsche Reisegruppe eintreffen würde und es deshalb nur noch ein freies Bett in einem riesigen Schlafsaal auf dem Estrich hat. Gerne hätte sie mir ein Einzelzimmer angeboten aber das ginge ausgerechnet heute nicht. Es hat noch ein Hotel im Dorf und so übernachte ich dort in einem etwas schmuddeligen Zimmer. Auf dem weiteren Weg nach Quenca führt die Panamericana wohl über 4000 M.ü.M. Der Nebel, der jeweils so um die Mittagszeit heranzieht ist so dicht, dass ich kaum 20 Meter weit sehe. Immerhin finde ich ich jeden Abend ein Hotel mit warmer Dusche. Nach Cañar geht es nochmals 10 Kilometer aufwärts bevor es hinunter in grosse Tal geht, in dem die drittgrösste Stadt Ecuadors, Cuenca, liegt. Die Strassen im gut erhaltenen Zentrum mit Gebäuden aus der Kolonialzeit, sind mit Natursteinen gepflastert. Es sticht vor allem die unglaublich riesige Kirche "la Nueva Catedral" (die neue Kathedrale) hervor. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert gebaut und bietet 10'000  Gläubigen Platz. Zum weiteren gefallen mir natürlich die zahlreichen Konditoreien welche vorzüglichen Kaffee und feines Süssgebäck anbieten. Ich schätze den "tinto" (schwarzer Kaffee)  in den Städten besonders, weil in den Dörfern nur billiger Schnellkaffee serviert wird. Die Fa. Néstlé lässt grüssen aus einem Land, in dem Kaffee angebaut wird. Ok, inzwischen gibt es auch ecuadorianischen Schnellkaffee... .

Nach einigen faulen Tagen im schönen Cuenca muss ich mich echt aufraffen wieder auf's Velo zu steigen. Es ist weiterhin trüb und kühl und so entscheide ich mich, die Panamericana zu verlassen und hinunter an die Küste zu fahren. Es ist zwar weiterhin regnerisch aber immerhin ist es wärmer und der Küste entlang, so hoffe ich, auf flaches Gelände zu stossen. Die Landschaft, die ich durchquere in den höheren Lagen erinnert mich an das Appenzellerland mit den zerstreuten Bauernhöfen und den satten Wiesen. Auch die Wälder sind hier nicht alle abgeholzt. Entlang der Strasse kann man in Molkereien einkehren und sich mit lokalen Milchprodukten verköstigen.
Durch die Regenfälle ist die Strasse unterbrochen. Es gibt zwar eine Alternativstrasse aber ein Arbeiter erklärt mir, dass ich diese nicht nehmen solle, denn sie führe über einen Pass und mit dem Fahrrad könne ich problemlos hier weiterfahren. In 10 Minuten würde ich den "schwierigen Teil" hinter mir haben, meint er. Der Mann sieht vertrauensvoll aus und selbst mit der einkalkulierten lateinamerikanischen Verniedlichung der Probleme, fahre ich sorglos weiter. 2-3 Kurven weiter ist die Strasse komplett verschüttet. Ich schiebe das Velo durch den feuchten Dreck und bald sind die Räder verhockt. Einige Male muss ich die äusserst klebrige Masse "wegknüblen" um weiterlaufen zu können. Zum grossen Glück regnet es nicht, ansonsten wäre ich wohl in echt grossen Problemen. Die Landschaft hier ist komischerweise sehr trocken und einige Kilometer weiter fahre ich in eine Nebeldecke hinein und die Vegetation ist plötzlich tropisch grün und selbstverständlich fehlt der Regen nicht.
Die letzten gut 20 Kilometer nach Machala, sind flach und ich bin auf Meereshöhe. Die Stadt ist im Gegensatz zu Cuenca modern und ohne historische Altstadt. Die Haupteinnahmequelle der ganzen Region ist der Anbau von Bananen und im Hafen wird praktisch die gesamte Produktion Ecuadors in alle Welt verschifft.

Bis nach Huaquillas, an der Grenze zu Peru, sind es noch etwa 80 flache Kilometer. Beidseitig der Strasse, wie grüne Mauern, hat es anfangs noch Bananenplantagen. Zum Schutz vor Parasiten sind die grünen Früchte in Plastikfolien eingehüllt. Die Hitze ist enorm, trotz des trüben Wetters. Huaquillas ist, man muss es leider so sagen, eine Grenzstädtchen ohne jeglichen Charme.
Also, morgen nach Peru! 

Über mich

Sucre, Chuquisaca, Bolivia