Von Chiclayo bis Lima (26.1. - 13.2.2012, 1826km, Total: 9149km)
Die Panamericana führt nun etwas abseits der Küste und 120 km weiter, in Pacasmayo, wieder an den Pazifik zurück. Etwas weiter übernachte ich in San Pedro de Lloc. In dieser Kleinstadt stehen viele Häuser leer. Viele Menschen sind abgewandert und suchen ihr Glück in den Städten. Man lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft. Im grossen Stil wird, dank künstlicher Bewässerung, hauptsächlich Reis und Zuckerrohr angebaut. Ein Mann erklärt, dass das Wasser für die Reisfelder jeden Tag einmal abgelassen werden muss, weil es sich durch die Tropensonne zu sehr erwärmt. Die Sprösslinge würden eingehen ohne diese Massnahme.
Am Morgen zeigt mir der ältere Hotelbesitzer die lokale Zeitung. "5 Morde in 7 Tagen" ist die Schlagzeile auf der Frontseite. Das sei in der Nähe von Chepén, Die Stadt habe ich gestern passiert. Ich solle aufpassen in Paijan denn dort würden besonders viel Reisende überfallen, ist sein Rat für die Weiterreise.
Am Mittag erreiche ich also das "Räubernest" Paijan. Tatsächlich versucht ein junger Mann die grosse hintere Tasche wegzuzerren. Diese ist zu gut befestigt und der Mann rennt weg während ich ihm laut hinterherfluche. Etwas ausserhalb des Dorfes sehe ich ein nettes Restaurant und ich beschliesse, dort zu essen. Die Gefahr scheint vorüber, bin ich doch ein ganzes Stück abseits der Ortschaft.
Ein Polizeiauto fährt heran und der Beamte sagt mir, das die Polizei mich schon länger beobachten würde und es sehr gefährlich sei hier anzuhalten. Er verspricht, die Polizei im nächsten Ort zu benachrichtigen, damit ich am Abend sicher in Trujillo ankommen würde. Zur Sicherheit alarmiert er gleich einen Kollegen der auch in kürzester Zeit vor Ort ist. So ganz kaufe ich ihnen die Geschichte, dass sie mich schon länger gesehen haben, nicht ab, sonst hätte man nicht versucht mich zu berauben. Ab hier fühle ich mich nun sicher, denn alle paar Kilometer steht eine Polizeistreife oder passiert mich mit einem Gruss.
Am späteren Nachmittag erreiche ich die Hafenstadt Trujillo. Unter Velofahrern ist die Stadt ein beliebtes Ziel weil sich dort die "casa de ciclistas" (Haus der Radfahrer) befindet. Das bescheidene Haus ist zwar mit "casa de amistad" (Haus der Freundschaft) angeschrieben , ist jedoch unter ersterem Namen bekannt geworden. Luis Ramiro D'Angelo, mit Kurznamen Lucho, und seine Familie beherbergen seit den Achtzigern Velofahrer aus aller Welt. Es hat eine gut ausgerüstete Werkstatt und wenn es zu eng wird im Schlafraum, kann man schon mal das Zelt im grossen Gang aufstellen. Er verlangt höchstens einen Spendenbeitrag für seine Veloschule für Kinder. Lucho spannt mich gleich ein, ihm beim Transport einer Musikanlage die er vermietet, zu helfen. Ein weiteres Standbein seiner vielen Tätigkeiten. Man müsse hier flexibel sein um sich das Auskommen zu verdienen, sagt er mir. Ich kann ihm nur beipflichten. Zurzeit bin ich der einzige Gast, was selten sei. Er stellt gleich fest, dass die Räder meines Velos katastrophal eingespeicht wurden, damals in Mexico. Innert kurzer Zeit hat er die Speichen fachmännisch montiert und haargenau ausgerichtet. Wahnsinn! Ich erzähle ihm die Geschichte von Paijan. Natürlich weiss Lucho um die Gefahren in diesem Ort für Veloreisende. Er sei ständig in Kontakt mit der Polizei und sobald sich ein Reisender anmeldet, würde er um eine Eskorte bitten. Eine Frau habe ihm gemailt, dass sie in einigen Tagen ankommen würde.
Lucho empfiehlt mir wärmstens, die Strecke entlang des Rio Santa durch den "Cañon del Pato" nach Huaraz zu befahren. Ich hatte ursprünglich nicht vor wieder in Regensaison in die Anden zu fahren aber Lucho redet so begeistert von dieser Strecke, dass ich meine Pläne ändere.
Am Morgen meiner Weiterreise begleitet mich Lucho noch durch die Stadt und die ganze kilometerlange Steigung südlich von Trujillo. Er wäre gleich mit mir weitergefahren, hätte er Zeit gehabt. Radverrückte gibt es wenige in Peru. Lucho ist sicherlich der grösste und hilfsbereiteste unter ihnen.
Am nächsten Tag erreiche ich die Abzweigung Richtung Osten auf die Schotterpiste nach Huaraz. Müde komme ich abends nach einem harten aber sehr schönen Tag im kleinen Ort Chuquicara an. Es gibt ein paar Stände mit Früchten und Esswaren und sogar ein Restaurant. Viele Häuser sind auch hier verlassen. Die noch bewohnten Häuser unterscheiden sich nur durch die verriegelten Fenster und sind genauso trostlos. Eigentlich sind das menschenünwürdige Behausungen. Ich zelte auf dem kleinen Platz neben dem Polizeiposten. Dass ich hier beraubt werde ist nicht möglich. Eine Frau bietet mir sogar ein Zimmer an aber es ist ein trauriges Loch. Man muss es sagen wie es ist ohne der Frau einen Vorwurf machen zu wollen. Man lebt so hier.
Über eine Brücke geht es auf die andere Seite des Rio Santa, weiter auf der schlechten Piste immer aufwärts. Bald merke ich, dass ich kaum vorwärtskomme. Ich würde vielleicht 30 Kilometer machen pro Tag. Allein der Schotterpistenabschnitt von etwa 100 Kilometern würde also 3-4 Tage mühsame Schieberei in extremer Hitze dauern. Das ist mir nun doch zuviel. Zuerst nimmt mich ein Pickup etwa 20 Kilometer mit, danach steige ich in einen lokalen Bus um, dessen Reifen schon total abgefahren sind. Kein Wunder wird die Rumpelfahrt durch einen lauten Knall abrupt unterbrochen. Ein Reifen ist zerplatzt. Der Ersatzrpneu ist, kaum zu glauben, in noch schlechterem Zustand als sein Vorgänger aber wie durch ein Wunder erreichen wir den Ort Huallanca ohne weitere Panne. Von hier aus schiebe und fahre ich eine Weile weiter. Das Tal ist eng und geht beidseitig sicherlich 1000 bis 2000 Meter steil hoch. Die Wassermassen pressen sich wild durch die enge Schlucht. Ich würde sagen: nicht fahrbar für Wildwasserspezialisten ohne Todessehnsucht. .
Man hat mir gesagt, dass auf diesem Abschnitt 32 Tunnels in den Stein gehauen sind. Ein Lastwagen hält neben mir an und der Chauffeur fragt ob ich mitfahren will. Ich überlege kurz und nehme die Offerte an. Wir sind vier Leute in der Kabine und es ist eng. Am Abend erreichen wir die Stadt Huaraz, auf etwa 3000 M. ü. M. Immerhin habe ich die Strecke entlang des Rio Santa befahren, wenn auch ausnahmseise ber Anhalter, sage ich mir.
Huaraz gehört zu den meistbesuchten Orten in Peru. Alpinisten, Eiskletterer Wanderer usw. toben sich hier auf der "weissen Kordilliere" aus. Jetzt, in der Saison wo es jeden Nachmittag regnet, ist nicht so viel los. Ab etwa April beginnt dann die Schönwetterperiode und die Touristen "übernehmen" die Stadt. Die meisten zieht es auf die eisbedeckten Fünf- und Sechstausender, Der Höchste von ihnen ist der Huascaran mit 6768 M. ü. M. Ich habe Glück, dass ich den Koloss an einem Morgen zu sehen kriege und ein Erinnerungsfoto machen kann.
Ab hier fahre ich nun wieder mit dem Velo weiter Richtung Süden. Es geht noch rauf bis 4000 M. ü. M. und am ersten Tag zelte ich mit Kopfschmerzen nach etwa 60 Kilometern etwas unterhalb der Passhöhe vor Conococho. Am nächsten morgen frühstücke ich in einem Restaurant des Ortes und die lokale Bevölkerung (na ja, mindestens einer) ist bereits beim Frühstücksbier...Ich bestelle nur einen Coca-Tee um das Kopfweh zu lindern welches mir die Höhe bereitet.
Ab hier führt die Strasse wieder westlich an die Küste und es geht spektakulär in Serpentinen hinunter durch ein grünes Tal bevor ich mich wieder in der heissen Wüstenzone finde. Ich zelte nochmal neben der Strasse in der Nähe eines Flusses bevor ich wieder auf die Panamericana stosse, 20 Kilometer vor Barranca.
2 Tage später erreiche ich Lima, die Hauptstadt Perus. Lima ist der Magnet des Landes und hat etwa 9 Millionen Einwohner. Ich weiss nicht, ob da die Armenviertel am Rand mitgerechnet sind. Es scheint mir, als ob alle Peruaner nach Lima wollen. Es ist das Geschäts- und Industriezentrum des Landes. Man kann nur hoffen, dass auch etwas in die Dörfer und Städte ausserhalb dieses Molochs investiert wird um die "Flucht in die Grosstadt" zu verringern.
Ich bin nun im Zentrum der Stadt im Hotel España. Ein gut erhaltenes, altes Gebäude mit viel Flair. Auf der grossen Veranda des 2. Stockes hat es ein Pfauenpaar und Schildkröten und auch ein bunter Ara fliegt frei herum. In den Gängen hängen alte Bilder von verstorbenen Persönlichkeiten. Leider hat es keine Ventilatoren in den Zimmern. Es ist ungewöhnlich heiss und normalerweise steigen die Temperaturen nicht über etwa 25 oder 28 Grad, wie man mir gesagt hat.
Lucho meinte, ich solle unbedingt das Museum der Inquisition besuchen. Ich weiss nicht ob er das gesagt hat weil der Eintritt frei ist oder weil es besonders interessant ist...